DIALOG 13
Iannis Xenakis
Komboi (1981)
Oliver Frick
Neues Werk (Uraufführung)

23.01.2006
20.00 Uhr

 
   
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Komboï (1981)

Oliver Frick
Neues Werk (Uraufführung)

Florian Hölscher: Cembalo
Boris Müller: Schlagzeug

„Meine Überzeugung ist, dass wir zum Universalismus nicht durch Religion, Emotion, Tradition gelangen, sondern durch die Naturwissenschaften (…). Das wissenschaftliche Denken gibt mir ein Instrument an die Hand, mit dem ich meine Vorstellungen nicht-wissenschaftlichen Ursprungs verwirkliche. Und diese Vorstellungen sind Produkte gewisser Intuitionen und Visionen.“

Iannis Xenakis, geboren am 29. Mai 1922 in Braila/Rumänien, war griechischer Abstammung und besaß die französische Staatsbürgerschaft. Dieses Moment des Übergreifenden, Brückenschlagenden scheint maßgeblich sein schöpferisches Denken geprägt zu haben – von der reichen Volksmusik der unteren Donau-Region und den byzantinischen Einflüssen, die er in seinen ersten zehn Lebensjahren kennenlernte, über den orthodoxen Kulturkreis in Griechenland, wohin die Familie 1932 zurückgekehrt war. Dort schloss er sich in den 40er-Jahren den Widerstandsgruppen an, wurde am 1. Januar 1945 schwer im Gesicht verletzt und später in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Sein musikalisches Weltbild reichte schließlich bis zur kulturellen Universalität von Paris, wo Xenakis seit 1947 lebte.
Noch in Athen hatte Xenakis neben Musik am Polytechnikum zu studieren begonnen (Ingenieurdiplom 1947); 1948-60 arbeitete er als Assistent bei Le Corbusier: Mitwirkung bei Architekturprojekten wie dem Kloster La Tourette; 1958 entwarf er den Philips-Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel – auf Berechnungsgrundlagen seiner Komposition Metastasis (1954, UA Donaueschingen 1955). In Paris besuchte er 1950-53 das Konservatorium und studierte dort bei Olivier Messiaen, daneben in Gravesano bei Hermann Scherchen. Als Basis für sein kompositorisches Denken begann sich zu dieser Zeit ein genuin wissenschaftlich-technischer Ansatz auszubilden, vor allem im Umgang mit stochastischen Erkenntnissen (Wahrscheinlichkeitstheorie), mit mathematischen Spieltheorien und Ganzheitstheorien („Musique stochastique“, „Musique stratégique“, „Musique symbolique“). In der wissenschaftlich gefassten Formel sah Xenakis die Möglichkeit eines universalistischen kompositorischen Ansatzes.
So gründete er 1966 in Paris die Équipe de mathématique et d'automatique musicales (EMAMU). Seit 1972 firmiert sie unter dem Namen CEMAMU (Centre d'Études de Mathématique et Automatique Musicales). Als Parallelinstitut entstand 1967 an der Indiana University/Bloomington ein Zentrum für mathematische und automatische Musik, an dem Xenakis als Professor für mathematische und mechanische Musik unterrichtete. Xenakis zählte auch zu den Mitbegründern des Pariser IRCAM; von der Mitarbeit zog er sich aber 1981 überraschend zurück. Erarbeitet wurde am CEMAMU ein eigenes Computersystem mit der Bezeichnung UPIC (Unité Polyagogique Informatique du CEMAMU), das es ermöglicht, Musik direkt durch Zeichnen zu komponieren. Hier schloss sich ein Kreis zwischen den Tätigkeiten als Architekt und als Komponist, der dem universalen schöpferischen Anspruch von Xenakis Rechnung trug. Xenakis starb am 4. Februar 2001 in Paris.

Es ist erstaunlich: Trotz der wissenschaftlich-mathematischen Basis alles Komponierens von Xenakis seit Mitte der 50er-Jahre spielt dieses Moment beim Hören seiner Werke im Grunde keine Rolle mehr. Die Musik wirkt ganz spontan erfunden, gleichsam hinabtauchend in mythische Bewusstseinsformen, immer auch mit fundamentalen Topoi musikalischen Ausdrucks (Steigerungsformen, Plastik der Tongestalten, „körperliche“ Rhythmen etc.) rechnend. Xenakis entzog sich schon in den 50er Jahren den seriellen Überlegungen; er ging von Anfang an einen eigenständigen Weg, was gleich ganz unmissverständlich in der Orchesterkomposition Metastasis mit ihrem charakteristischen, signalartigen Anfangsglissando anklang. Xenakis legte hier die Fundamente für Formen der „Klangkomposition“ (fortgesetzt in Pithoprakta, 1956), wie sie dann ab den 60er Jahren kompositorisches Allgemeingut wurden.
Elektronische Experimente schlossen sich an, etwa in Diamorphoses (1957) oder Concret PH (1958) oder Orient – Occident (1960); immer aber galt ein Hauptaugenmerk dem Instrumentalklang, seinen Bewegungsmustern, stochastischen Feldern von Ton-Klang-Strukturen, Raumbewegungen. Ausgebaut wurden diese Überlegungen etwa im Orchesterstück Terretektorh für 88 im Raum verteilte Instrumentalisten (1965/66), in Nomos Gamma für 98 Instrumentalisten (1967/68) oder in der groß angelegten szenischen Musik Oresteia für gemischten Chor, Kinderchor und Kammerorchester (1966), wo Xenakis mit Komplexitätsformen der musikalischen Textur im Wechselspiel von vokalen und instrumentalen Partien experimentiert. Gleichsam archaische Rhythmusstrukturen, mit gleichförmigem Pulsieren rechnend, spielen in den Ballettkompositionen Kraanerg für Tonband und Orchester (1968) oder Antikhton (1971) ebenso eine zentrale Kolle wie in den Schlagzeugstücken Persephassa für sechs Schlagzeuger (1969), Psappha (1975) oder Pléades für wiederum sechs Schlagzeuger (1979).
Die weitere Entwicklung von Xenakis ist von einer Tendenz zur Vereinfachung der Strukturen, vielleicht auch der musikalischen Inhalte, geprägt. Zu verweisen wäre auf die Radiokomposition Pour la Paix für gemischten Chor, Sprecher und Tonband (1981), eine technisch produzierte Musik gegen den Krieg, aber auch auf die unmittelbar aus musikalischer Gestik heraus erfunden wirkenden Kompositionen wie Gmeeoorh für Orgel (1974), Tetras für Streichquartett (1983), Naama für elektronisch verstärktes Cembalo (1984), Alax für drei Instrumentalgruppen (1985), Horos für Orchester (1986), Keqrops für Klavier und Orchester (1986) oder die ausgesprochen klangimpulsiv angelegte Orchesterkomposition Ata (1987), „eine Art Ver-Rückung der Sinne“ (Xenakis). In allen diesen Arbeiten, die nach wie vor auf genau ausformulierten mathematischen Überlegungen beruhten, wird ein ganz ursprünglicher Zug zur direkten Empfindung des Klangs bis hin zu seinen Schmerzschwellen erfahrbar. Diese Nähe kennzeichnete den Stil von Xenakis.

Oliver Frick wurde 1973 in Stuttgart geboren. Von 1997 bis 2002 studierte er an der Musikhochschule Stuttgart (Musiktheorie und Neue Medien bei Matthias Hermann, ab 2000 Komposition bei Marco Stroppa). Dem folgte 2002/03 ein Studium am CNSMD in Paris (Komposition bei Frédéric Durieux, Orchestration bei Marc-André Dalbavie, Nouvelles Technologies bei Tom Mays). Seit 2003 setzt er das Kompositionsstudium bei Mathias Spahlinger an der Musikhochschule Freiburg im Breisgau fort. Kompositionen Oliver Fricks wurden in Deutschland, Frankreich und Japan aufgeführt.