WELLENFELDSYNTHESE
Workshop & Präsentationen

Neue Möglichkeiten der Klangprojektion für Oper, Theater, Event, Ton- und Filmproduktion

01.05.2004
10.00 - 18.00 Uhr

02.05.2004
11.00 - 17.00 Uhr

 
   
zurück  Die Besucher des Forum Neues Musiktheater der Staatsoper Stuttgart bewegen sich leise durch den Theatersaal, hören konzentriert einer Sängerin zu, die dort physisch real im Raum zu stehen scheint - aber man sieht sie nicht. Einige Hörer haben sie schon gefunden, sie scheint etwa einen Meter vor den Lautsprechern zu stehen: Was wie eine echte Sängerin klingt, ist in Wahrheit nur eine akustische Holographie, auch „Holophonie“ genannt. Das Forum Neues Musiktheater präsentierte diese neue Technik am Wochenende im Rahmen eines Workshops in seinen Räumen im Römerkastell Bad Cannstatt gemeinsam mit der Firma sonicEmotion aus Zürich und dem IRCAM (Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique) aus Paris, und in Kooperation mit dem Institut für Rundfunktechnik IRT und dem Verband deutscher Tontechniker VDT. Wellenfeldsynthese heißt diese Technik in der Fachsprache - eine der neuesten Entwicklungen der Audiotechnologie.

Möglich wird die räumliche Illusion durch eine große Zahl von Lautsprechern, die dicht nebeneinander aufgestellt werden. Die Mitarbeiter von sonicEmotion und des IRCAMs hatten für den Workshop mehrere Flachlautsprecher installiert, von denen jeder nur wenige Zentimeter tief ist - insgesamt 80 Kanäle. Deutlich mehr Lautsprecher also, als man es von der eigenen Stereoanlage gewöhnt wäre. Aber Wellenfeldsynthese soll vorerst auch nicht den neuen Klang für das Wohnzimmer bringen, sondern vor allem den Ton für Theater, Events, Kinos u.ä. verbessern.

„Mit Wellenfeldsynthese lassen sich viele Probleme bei einer Beschallung elegant lösen, vor allem wenn viel Publikum anwesend ist. Wenn Sie in einem Konzert sitzen, bei dem eine herkömmliche Beschallungsanlage läuft, dann hören Sie manchmal, dass Sie sich in der Nähe eines Lautsprechers befinden – ein unschöner Effekt, denn man will sich ja eigentlich auf die Musiker konzentrieren. Mit Wellenfeldsynthese können Sie eine Schallquelle virtuell auf der Bühne platzieren: Der Hörer kann dann nicht mehr unterscheiden, ob der Schall direkt vom Musiker oder aus der elektronischen Beschallung kommt. Außerdem eröffnet Wellenfeldsynthese auch ganz neue kreative Möglichkeiten. Mit dieser Technik kann man holografisch ganz neue akustische Räume kreieren. Es entsteht eine Immersion des Hörers in eine virtuelle Realität, die mit herkömmlicher Stereowiedergabe nicht möglich ist.“
So erklärt Dr. Renato Pellegrini, Geschäftsführer bei sonicEmotion.

Wie leistungsfähig diese „Holophonie“ klingt, konnten die Besucher an verschiedenen Beispielen erfahren: Von einfachen Sprechern, über Musik- und Geräuschmischungen bis hin zu Hörspielen. Der Komponist Philippe Schoeller (IRCAM) präsentierte sein Werk Vertigo erstmals mit Wellenfeldsynthese.

Die Technik wird möglich durch ein vernetztes Rendering der Audiodaten auf mehreren Rechnern. Eine neue Netzwerktechnik macht es möglich, die Wiedergabe synchron auf allen 80 Kanälen zu steuern. Auch Anlagen mit mehreren hundert Lautsprechern sind realisierbar. Um die Lautsprecher unauffällig in die Umgebung zu integrieren, verwendet man z.B. Flachlautsprecher, die sich in Form und Farbe der Innenarchitektur anpassen lassen – gerade in denkmalgeschützten Räumen ein wichtiger Aspekt. Diese Flachlautsprechertechnik ist übrigens nicht an Wellenfeldsynthese gebunden, sondern kann sogar für herkömmliche stereofone Wiedergabe verwendet werden.

Erfunden wurde die Wellenfeldsynthese in den 80er Jahren an der TU in Delft (Niederlande). Die physikalischen Grundlagen allerdings sind bereits viel älter: Bereits im 17. Jh. erkannte der Physiker Christian Huygens, dass – vereinfacht gesagt – jeder Punkt einer Wellenfront wieder als Ausgangspunkt einer kugelförmigen Wellenfront aufgefasst werden kann. Physikalisch gesprochen wird die Wellenfront der primären Quelle durch die Einhüllende der Wellenfronten der sekundären Quellen „synthetisiert“. In der Praxis bedeutet das für die Wellenfeldsynthese, dass man die Schallausbreitung einer Quelle nachbilden kann, indem man eine große Zahl von Lautsprechern (sekundäre Quellen) dicht nebeneinander mit geeigneten Audiosignalen speist. Für den Direktschall steuert man dabei an jedem Lautsprecher den Signalpegel und die Verzögerung der eingehenden Quellensignale. Die Summe bildet dann eine Welle, die der Form nach der der originalen Schallquelle entspricht.

Verschiedene Institute und Firmen haben sich in den letzten Jahren mit dieser Technik befasst. Im vergangenen Jahr schließlich konnte die Wellenfeldsynthese das Forschungsstadium verlassen und steht nun für den Anwender zur Verfügung.

„Für das Forum Neues Musiktheater ist Wellenfeldsynthese ein ernstzunehmender, innovativer Aspekt bei der Integration neuer Medien in das Theater“, so der Intendant der Stuttgarter Staatsoper Professor Klaus Zehelein bei der Eröffnungsrede des Workshop-Wochenendes. Das Forum versteht sich als Laboratorium, innerhalb dessen Forschung, Entwicklung und Praxis miteinander verknüpft werden. Seit seiner Gründung hat es sich nicht nur neuen, experimentellen Formen des Musiktheaters verschrieben, sondern konzentriert sich immer wieder auf die Einbeziehung neuer Technologien in die verschiedenen Aspekte der musikalischen und theatralischen Realisierung.

Nach den Eindrücken und den zahlreichen interessierten Besuchern dieses Workshops aus den Bereichen Theater, Event, Rundfunk, Wissenschaft, Kunst, Industrie und Architektur bleibt zu vermuten, dass die Wellenfeldsynthese in Zukunft auch weitere, breite Anwendungen findet – nicht nur im Theaterbereich.

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VDT Magazin mit Beitrag zur Wellenfeldsynthese in Stuttgart (pdf 607 KB)
» VDT-Magazin_WFS_Stuttgart.pdf (0 kB)