DIALOG SONDERKONZERT
Alan Hilario
kinotheken-piece (Uraufführung)
Rolf Riehm
Schlaf, schlaf, John Donne, schlaf tief
und quäl dich nicht
(1997)

23.05.2004
20.00 Uhr

 
   
zurück  Alan Hiario
kinotheken-piece

für Violine, Bassklarinette, Akkordeon, Klavier und Projektionen

Rolf Riehm
Schlaf, schlaf, John Donne, schlaf tief und quäl dich nicht

für Violine, Bassklarinette, Akkordeon und Keyboard

ensemble recherche

„Kunst ist in ihren besten Momenten eine kulturelle Artikulation, die an ihren äußersten Punkt gelangt ist. An diesem Punkt schaut man nicht zurück und löst keine Erwartungen ein, sondern ist auf diesen Punkt fixiert. Das ist ‚radikale Verantwortungslosigkeit‘, denn Kunst an ihrer äußersten Spitze kümmert sich nicht um irgendwelche Verpflichtungen oder Einlösungen.“ Musik ist für den 1937 geborenen Komponisten Rolf Riehm in Klänge gesetztes Denken und Erleben. Daher verwendet er keine Konstruktionsverfahren auf der Basis von Reihen oder Tabellen, sondern verfügt frei über konzeptionelle Material-Dispositionen. Dabei ist für Riehms Ästhetik das Bestreben um eine jeweils individuelle Synthese zwischen kompositorischer Setzung und historischen Bedingungen charakteristisch. Seine Werke reflektieren Bedingungen des Materials, ziehen Hörgewohnheiten ironisierend ins Kalkül und üben materialimmanente Gesellschaftskritik, denn Komponieren ist für Riehm eine Reaktion auf außermusikalische Sachverhalte mit Mitteln der Musik. Eine besondere Stellung in seinem Œvre nimmt seit etwa Mitte der 90-er Jahre die „Melodie“ ein, besonders auch in seiner Komposition, die im sechsten Dialogkonzert zu hören sein wird. „Melodie“ ist in diesem Stück behandelt wie ein „Gesang“ als Abstraktum. „Melodie“ ist für Riehm „ein geradezu rauschhaft lockender Strudel, ein konzeptioneller Kraftstrom, nicht nur bare ‚Melodien‘, sondern musikalische Lineaturen, Steigerungen, reines Hinströmen, das mich unendlich anzieht.“ Gesang ist auch das Thema von Schlaf, schlaf, John Donne, schlaf tief und quäl dich nicht, obwohl es ohne Vokalist aufgeführt wird. Lediglich ein Sampler stellt dazu das sprachlich-gesangliche Material bereit. Die Instrumente fungieren demgegenüber als Artikulationsorgane, „Stimmerweiterungen“. In der ersten Hälfte begleiten, umspielen und führen sie die Melismen der gesampelten und elektroakustisch bearbeiteten Gesangsstimme weiter. Die Verszeile "Schlaf, schlaf, John Donne, schlaf tief und quäl dich nicht" aus Iosif Brodskijs Großer Elegie für John Donne bildet das Rückgrat des Stückes; jedes einzelne Wort ist die Textbasis von umfangreichen gesanglichen Melismen. Etwa in der Mitte des Stücks wird eine Rezitation von Brodskij selber zugespielt und durch Technorhythmen unterlegt. Danach produziert der Sampler einen Bordunton mit der Silbe „und“, der sich erst am Ende Stücks in die Worte „quäl dich nicht“ entlädt: „Über die Konjunktion ‚und‘ erstarrt die melismatische Energie im Gesang und springt auf die sonst nur begleitenden Instrumente über, die sich in einer riesigen Exklamation verausgaben. Da, wo sich die Stimme die Seele aus dem Leib singt, da hört man die Instrumente und nicht den Gesang, und zwar auf einem Textteil, der nichts sagt. Der Gesang dagegen ist schon auf dem Anlaut vereist.“

Der philippinische Komponist Alan Hilario, dessen neustes Werk am im gleichen Konzert uraufgeführt werden wird, wurde 1967 geboren, und wuchs in Manila auf und erhielt seine musikalische Ausbildung als Geiger u.a. bei Gilopez Kabayao. Von 1985 bis 1988 studierte er Komposition an der University of the Philippines. 1988 bis 1992 war er Violinist im Philippine Philharmonic Orchestra. Zwischen 1985 und 1992 realisierte er diverse Projekte mit Film- und Theaterregisseuren. 1992–96 erhielt Hilario ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und studierte Komposition an der Musikhochschule Freiburg bei Mathias Spahlinger sowie elektronische Musik bei Mesias Maiguashca. 1997 erhielt er den Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart. Seit 1998 werden Hilarios Kompositionen in verschiedenen großen Festivals für Neue Musik aufgeführt. 2000 nahm er an der Stage d’Automne am IRCAM Paris teil und war Dozent der 40. Internationalen Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik. Er lebt als freischaffender Komponist in Ulm.