Pressestimmen
 
   
LAST DESIRE

Pressestimmen zur Uraufführung am 20.12.2004
 
 
zurück    Geblendet von der eigenen sexuellen Imagination verwandeln sich die Verblendeten in Figuren des Dramas: Der Kontratenor Daniel Gloger in den liebestrunkenen jungen Syrer und in die alte, gnadenlos ernüchterte Herodias, eine quallig-zerfließende Edelnutte von einst, ausstaffiert mit Hängebrüsten und aus den Dessous quellender Wampe; der Bass Andreas Fischer in den König Herodes und dessen Widerpart, den Propheten Jochanaan; der Knabe Darius Paul-Knecht in den Pagen der Herodias – und ins große Fragezeichen. Denn kopflos und in zarten Mädchenkleidern schreitet er am Ende über den Laufsteg, der Knabe als travestierend und projizierend zugerüstete Salome. Also steckt im Geschenkpaket, das Herodes mit sich herumträgt, nicht der Kopf des Jochanaan, sondern jener Salomes? Solch männerphantastische Vernichtungspointe wird in Michael v. zur Mühlens Regie zumindest angedeutet, wenn zugleich des Kontratenors Haupt quasi geköpft aus der Plüschtierherde ragt und in femininsten Tonlagen trilliert. (...) Und die Musik? All die frei flottierenden Persönlichkeitsanteile scheinen in einem glatzköpfigen, mit Heino-Brille bestückten, als blind dargestellten und somit unter lauter Verblendeten intuitiv „sehender“ Bratscher – dem einzigen beteiligten Instrumentalisten – zu verschmelzen: Luca Sanzó verkörpert ausmusizierte Affektzustände, Ronchetti verordnet ihm virtuos doppelgriffige Bach-Blütenlese ebenso wie erregte Tremoli und wild skalierende Klang-Vektoren.
Cannstatter Zeitung

Für Betrachter von außen hat die Idee des Forums, Werke nie als fertig, sondern immer als Zwischenergebnisse fortlaufender künstlerischer Prozesse zu begreifen, etwas Faszinierendes – und mutet doch zugleich immer auch chaotisch an. Sich von der Vorstellung eines vollendeten Kunststücks zu trennen, ist die Voraussetzung, um sich in dieser außergewöhnlichen Staatsopern-Experimentierbühne wohl zu fühlen. Und das fällt Komponisten und Interpreten manchmal ebenso schwer wie dem Publikum. Die neue Salome- Version indes könnte ein Einstieg auch für jene sein, die dem Forum aus Angst vor dem allzu elitär Abgehobenen bislang noch fern blieben.
Stuttgarter Nachrichten

Das Stück spielt auch mit der Möglichkeitsform. Schein und Sein, Wirklichkeit und Projektionen sowie die Musik in Geschichte und Gegenwart greifen munter ineinander: Anklänge an Bach, Händel und – vor allem – Rossini meint man zu vernehmen, Choralton steht neben wilden Koloraturen, das eine scheint durch das andere hindurch – und wer weiß, womöglich ist ja die ganze Welt diesseits und jenseits der Bretter, die die Welt nur bedeuten, aber nicht sind, nichts weiter als Wille und Vorstellung?
Stuttgarter Nachrichten

Ein Versuch, diese Bilder zu löschen, zumindest aber mit ihrer Existenz zu spielen, ist Last Desire von Lucia Ronchetti. Im Forum Neues Musiktheater kam die knapp einstündige Oper in einem Akt, unterteilt in sieben Szenen zu ihrer Uraufführung. Bearbeitet wurde der Text von Wildes Salome von Tina Hartmann. Salome als Figur gibt es in dieser Fassung nicht. Sie darf nur in den Köpfen der Protagonisten existieren, eines jüngeren Mannes, verkörpert von einem Countertenor (Daniel Gloger), eines etwas älteren Mannes mit tiefer Stimme (Andreas Fischer) eines Knabensoprans (Darius Paul-Knecht) und eines Violaspielers (Luca Sanzó). Sie müssen mit ihren Stimmen live, elektronisch verfremdet und/oder vervielfacht das fiebernd aberwitzige Bildtheater in den Köpfen suggerieren. Und sie werden im Lauf dieses gleichermaßen surrealen wie realen Theaters (Regie: Michael von zur Mühlen) mehrere Verwandlungen in andere Personen durchleben und so die Stationen einer Obsession bis zum bitteren Ende bereisen. (...) Alle Spielarten des Kunstgesangs von gezierten Madrigal bis zum expressionistisch-animalischen Ausbruch werden durchexerziert. Virtuos arbeitet Ronchetti mit Zitaten und Allusionen. So legt sie beispielsweise Herodias Fragmente aus Rossinis Viaggio a Reims fast bis zur Unkenntlichkeit zerschreddert in den lüstern gealterten Mund. Der junge Syrer hat seine Verehrung für Salome in sorgsam rhythmisierten Madrigalismen zu singen. Der Page der Herodias könnte mit seinen Vokalisen so in einer Händel-Oper wiederzufinden sein. Die Partie des Violaspielers gemahnt bisweilen an Bachs Solopartiten. – Es ist die Verschmelzung der Stilelemente, die aus dieser Oper schließlich ein schillerndes expressionistisches Artefakt machen. Aufgeführt wurde diese Musik beispielhaft.
Stuttgarter Zeitung

Zwischen der Gegenwart des Wartens und dem Seelendrama der Vergangenheit schwankte das Geschehen im Forum Neues Musiktheater hin und her. In seiner extremen Suche nach der Schönheit des Klanges verwendete Gloger in ausgezeichneter Weise das hohe Register und bewegte sich meditativ zwischen und innerhalb seiner eigenen Klangfarbe. Auffallend war bei der Uraufführung aber auch die rhythmische Nähe zu Henry Purcells Oper King Arthur. Modal gefärbte Harmonik dominierte in den vokalen Passagen. Eine oft atemberaubende Chromatik sowie eine intensive Auseinandersetzung mit der englischen Tradition standen im Mittelpunkt. Licht- und Schattenspiele verdichteten sich in elektronischen Effekten, wo menschliche Gestalten grell aufleuchteten. Der Knabe irrte angesichts des Zusammenbruchs des jungen Mannes verzweifelt umher. Michael von zur Mühlen achtete in diesem Zusammenhang auch auf eine plausible Personenführung, die die geheimnisvollen Beziehungen der Figuren untereinander sensibel unterstrich. Zuletzt weitete sich die „schwarze“ Bühne im Hintergrund ins Unendliche aus, Hall-Effekte erzeugten ungewöhnliche dynamische Spannungskontraste. Das Publikum applaudierte begeistert.
Reutlinger General-Anzeiger

Musikalisch lebt das Stück von den virtuosen Gesangspartien, die den Interpreten Daniel Gloger und Andreas Fischer auf den Leib komponiert sind, szenisch vom Spiel auf der Kippe, das der Regisseur Michael von zur Mühlen mit einem Minimum an Aufwand auf die kleine Bühne zu zaubern weiß. Ronchetti greift tief ins Arsenal der Formen und Stile, mixt Madrigal mit barockem Belcanto, Rossini-Fiorituren mit der skurrilen Flüster-Equilibristik Sciarrinos und lässt selbst die Bratsche klingen. Die Live-Elektronik (Carl Faia) ist nicht nur mit der real erklingenden Musik, sondern mit einer Lichterwand gekoppelt, die den Klang graphisch visualisiert. Auch szenisch gibt es kein Entkommen. Mühlen sperrt die Zuhörer zusammen mit den Agierenden in einen von Vorhängen verschlossenen Raum, der sich durch ein mit Plüschtieren übersätes Sofa als das Zimmer der männermordenden Kindfrau zu erkennen gibt. Das gerade eine Dreiviertelstunde dauernde surreale Impromptu, das mit der Erwartung aller Beteiligten – auch gerade der Zuschauer! – spielt, (...) erreicht (...) zum Schluss im irrwitzig komischen Solo des Täuferkopfs, der aus einer Schachtel grinst (und singt) sowie im grotesken Auftritt der Herodias – beides von Daniel Gloger brillant realisiert – nochmals einen musikalischen wie szenischen Höhepunkt. Alles in allem ist diese Talentprobe der jungen Italienerin die bisher überzeugendste Produktion in Klaus Zeheleins Versuchslabor eines neuen Musiktheaters.
Opernwelt

Wir befinden uns im Forum Neues Musiktheater der Staatsoper Stuttgart. Und die größte Leistung dieser Uraufführung von Lucia Ronchettis etwa einstündiger Salomé-Kammeroper für Knabenstimme, Countertenor, Bass, Bratsche und Live-Elektronik liegt vielleicht darin, dass die Komponistin und der Regisseur Michael von zur Mühlen diese Frage mit viel Phantasie umgehen. Ronchettis Musik geht immerhin so eigenwillig mit der Vorlage um, dass der fatale Richard-Strauss Vergleich in keinem Moment wirksam wird. In der Behandlung von Stimme und Sprache unverkennbar an Salvatore Sciarrino geschult, hat sie ein manchmal fast madrigaleskes A-cappella-Gewirk geschaffen: mit Stimmlauten unterschiedlichster Atrikulation bis hin zu italienischer Belcanto-Kunst; mit der Viola als vierter „Stimme“; mit fein überformten Traditionsresten (Prelude, Aria, Duetto, Lamento); und mit einer Klang-„Aura“, die der Elektronik-Zauberer Carl Faia in faszinierender Räumlichkeit entfaltet. Die Ausführenden zeigen exquisite Meisterschaft: vor allem der Countertenor Daniel Gloger und der schlafwandlerisch intonationssichere Bratscher Luca Sanzò; aber auch der Bass Andreas Fischer und der Knabensopran David Dörner. Michael von zur Mühlen ist klug genug, nicht in die Falle der dramaturgischen Binsenweisheiten zu tappen. (...) Ihm gelingt erstens eine beachtliche Talentprobe und zweitens der Beweis, dass auch ein etwas verblassendes Sujet zur Vorlage für einen animierenden Theaterabend taugt, wenn man Ideen und szenische Phantasie hat. Und das Forum Neues Musiktheater hat sich weiterentwickelt, die Präsentation mit Einführung, öffentlichen Proben und Nachgespräch hat an Offenheit gewonnen. Last but not least: Anhaltender Beifall nach der ausverkauften Premiere.“
Die Deutsche Bühne