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Pressestimmen zur Uraufführung am 10.10.2003
 
 
zurück    Heiner Müllers unerhört dichter, mit Schockbildern und Gewaltfantasien durchsetzter Text sowie die musiktheatrale Raum- und Darstellungskonzeption verlangen nach schwierigen ästhetischen Mitteln, deren Hermetik selbstverständlich ist. Dabei schreit Heiner Müllers Bildbeschreibung von 1984 geradezu nach Musik, so wie seine Hamletmaschine nach der Oper von Wolfgang Rihm schrie. Aber von dem, was einmal „Vertonung“ eines Textes hieß, kann dabei nicht die Rede sein, eher von „Versuchsanordnung”. (...) Die Idee des Stückes ist nahe der Technik (und Melodie) seiner Umsetzung: Überlagerung von Text, live erzeugtem und amplifiziertem Raumklang, Choreographie, kargem Szenario. Die Vielfalt der Überschneidungen fügt sich zum Rhythmus ineinandergreifender Gedanken und Vorgänge, zu einer Poesie sich ruhig entwickelnder Prozesse. Entscheidend, dass Breitscheid und seine Dramaturgen (Klaus Zehelein, Juliane Votteler) eine glückliche Hand in der Teamwahl besaßen. Jean Jourdheuil (Regie, er hat neulich Mozarts Finta inszeniert) und Mark Lammert (Raum-, Filmkonzeption) verteilten Müllers Text auf die Ebenen und Instanzen. Musikalität, nicht Semantik, ist die Antriebsfeder auch für alles Visuelle. Wie in Musik werden Abläufe von Spannung und Entspannung bestimmt, von Crescendo und Diminuendo, Beschleunigung und Verlangsamung, Gewaltausbruch und dessen Ermüdung im Stillstand – des solistischen oder chorischen Sprechens und Agierens (Jorge Silva Melo, Marc Barbé), des Singens (Lani Poulson, Mezzosopran), des Tanzens (Tal Beit-Halachmi). Verschachtelte Textualität führt zu Rätselbildern, deren Schönheit immer wieder in die Brutalität getrieben wird: die zertrampelten Blumen, der rotierende Spiegel, das Licht, Körper- und Stimmenausbrüche. Vier Musiker geben den interaktiv hochgespannten Klanghorizont: Teodoro Anzellotti (Akkordeon), Sascha Armbruster (Saxophone), Stefano Scodanibbio (Kontrabass) und Mike Svoboda (Posaunen). Ihre instrumentale Klangfeinzeichnung kommt aus grenzenloser Intuition des Hörens. Es gibt nichts zu verstehen oder zu vergleichen, nur alles zu hören, zu sehen und konzentriert zu beobachten.
Süddeutsche Zeitung

(...) Die Versuchsanordnung überzeugt, und Andreas Breitscheids 80- minütiges Musiktheater nach Heiner Müllers Bildbeschreibung hat schon einen erstaunlich habhaften Werkcharakter. Was auch an der Forschungsarbeit von Regisseur Jean Jourdheuil und Künstler Mark Lammert liegt (...), die in der schwarzen Halle aus dem monströsen Text Bilder und Szenen filterten. (...) In einem abstrakten Szenario dreht der Schauspieler Marc Barbé eine riesige Spiegel-Fläche wie eine stumme Wand der Selbstreflexion. Sie dient ebenso als schwankende Bühne für die Tänzerin Tal Beit-Halachmi. Dann wieder wird auf diese Fläche ein Wolkenhimmel-Video projiziert: „Eine Landschaft zwischen Steppe und Savanne, der Himmel preußisch blau, zwei riesige Wolken schwimmen darin“, fängt Müllers Text an. Und damit lässt Breitscheid sein Projekt auch enden – eben nicht mit Müllers letzten Worten „Ich der gefrorene Sturm“. Jetzt dreht sich der Spiegel schnell, Teodoro Anzellotti spielt auf dem Akkordeon mit tiefen Clustern einen Abgesang, und die Tore der Forum-Halle werden aufgesperrt: kein „preußisch Blau“, sondern Nacht. Eine unverkrampfte Poesie. Neben Barbé ist ein zweiter Schauspieler dabei, der portugiesische Filmemacher Jorge Silva Melo, der wie ein Regisseur mit Notizbuch auftritt. Mehrsprachig arbeiten sie sich am Müller-Material ab, auch die Tänzerin und die vier Musiker reden zuweilen mit – neben Anzellotti sind das Sascha Armbruster (Saxophone), Stefano Scodanibbio (Kontrabass) und Mike Svoboda (Posaune, Tuba). Die Mezzosopranistin Lani Poulson singt das in Müllers Bildbeschreibung groß Geschriebene wie die Stimme eines lyrischen Ichs. „Fremd im eigenen Körper“: Elektronisch wird der Gesang verfremdet. Wie der Nono-Schüler Breitscheid überhaupt das oft sehr reduzierte, fein gesponnene, radikale Spiel der Instrumente zum äußerst differenzierten Raum-Klang-Bild manipuliert. Spannend.
Südwestpresse

Das „Forum Neues Musiktheater“ setzt sich die neuen Aufgaben selbst, und dass Stuttgarts Opernintendant Klaus Zehelein dem von ihm initiierten und durchgesetzten „Forum“ die richtigen Wege in die Zukunft weisen wird, daran dürfte kein Zweifel bestehen. (...) Ein erster Versuch war zur Eröffnung des „Forums“ zu besichtigen. Andreas Breitscheid, künstlerischer Mitarbeiter der Staatsoper Stuttgart und nunmehr auch Leiter des „Forums“, konzipierte ein Musiktheater auf Heiner Müllers vielschichtigen Text einer „Bildbeschreibung“, den Müller selbst als eine Übermalung der „Alkestis“ bezeichnet, als die Beschreibung einer „Landschaft jenseits des Todes“. Breitscheids Szenarium für zwei Schauspieler, eine Tänzerin, eine Sängerin und vier Instrumentalisten (Akkordeon, Saxophon, Kontrabaß, Posaune/Tuba) wirkt wiederum wie eine Übermalung von Heiner Müllers Text. Kompositorische Strukturen, Spielaktionen, gesprochene Texte und filmische Bildeinblendungen gehen dabei eine erstaunlich dichte Verbindung ein. Von der verrätselten Magie des Müller-Textes fließt sehr viel in das komplexe „Musiktheater“ ein. Ein bemerkenswerter Auftakt der „Forschungsarbeit“. Die Stuttgarter „Forum“-Gründung darf darüber hinaus in einer Zeit kulturpolitischer Demontagen zugleich als ein wichtiges Zeichen nach vorn genommen werden.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung