03.08.2005
Annäherung an Trakl

 
   
zurück  Hans Tutschku im Gespräch über sein neues Stück
Die Süße unserer traurigen Kindheit

Die Fragen stellten Andrea Scheufler und Olaf Bargheer (FNM)

Forum
Herr Tutschku, können Sie kurz beschreiben wie es zur Kooperation mit dem Forum Neues Musiktheater kam und welches Ihre Erfahrungen bei den bisherigen Arbeitsphasen im Tonstudio waren?

Tutschku
Ich habe Andreas Breitscheid Ende der neunziger Jahre in Frankreich kennen gelernt. Wir trafen uns am IRCAM in Paris, wo er sich über die neuesten Entwicklungen von Technologie und Musik informierte. Die Arbeitsweise am Forum Neues Musiktheater und seine Möglichkeiten haben mich dann insofern interessiert, da das Projekt Die Süße unserer traurigen Kindheit nicht in einem normalen italienischen Theater mit einer klaren Trennung zwischen Bühnen- und Zuschauerraum aufgeführt werden kann. Ich wollte von vornherein vermeiden, dass das Publikum als externer Betrachter auf die Akteure schauen kann. Ich stellte mir einen Raum vor, der von allen gleichermaßen eingenommen wird und in dem das Publikum in gewisser Weise Teil der Akteure wird. Alle sind in derselben Situation gefangen.

Forum
Sie haben sich schon in mehreren Stücken mit dem österreichischen Dichter Georg Trakl beschäftigt. Wie ist es zu dieser Auseinandersetzung gekommen?

Tutschku
In meiner Jugend las ich viel Prosa und Lyrik und entdeckte dabei Autoren, die nachhaltigere Gefühlszustände ausgelöst haben als andere. Einer darunter war Trakl. Einen weiteren Ausschlag hat das Buch Vor Feuerschlünden von Franz Fühmann gegeben, in dem er seine Erfahrungen mit Trakls Gedichten während der Kriegsgefangenschaft in Russland beschreibt. Ich denke aber, jeder sollte sich seine eigene Lesart von Trakl aneignen.
Ich habe ja ungefähr 10 Jahre in Frankreich gelebt, wo ich die Gedichte auch auf Französisch gelesen und die verschiedenen Übersetzungen verglichen habe. Das war wieder eine andere Art von Herantasten an die Texte und eine Mischung aus verschiedenen Sichtweisen auf das Werk. Es bestärkte auch mein Gefühl, dass es für mich keine gültige Auslegung eines Textes in einer bestimmten Form gibt. In Die Süße unserer traurigen Kindheit versuche ich, eine kleine Auswahl von Gedichten und Briefausschnitten von verschiedenen Seiten zu beleuchten.

Forum
Können Sie – ohne zuviel inhaltliches über das Stück zu verraten – kurz umreißen, wie Sie an eine Umsetzung von Trakls Texten und Biografie in Elemente des Musiktheaters herangehen?

Tutschku
Die Annäherung an Trakl auf der Bühne wird natürlich viele Fragen aufwerfen. Die Konstellationen und Verhältnisse zwischen den Personen, das heißt zwischen den beiden Sängerinnen und dem Tänzer werden nicht eindeutig sein. Die Frage, wer spielt hier was, wer ist welche Person, wird in diesem Werk aufgelöst. Alle Darsteller spielen wechselnde Verhältnisse zu jemand anderem. Die beiden Sängerinnen bemühen sich, einen bestimmten Grad von Vertrauen aufzubauen, so dass eine Kommunikation möglich wird. Sie versuchen sich einander anzunähern, Kontakt mit dem Tänzer aufzunehmen, wichtige Momente und Gefühle miteinander zu teilen, was auch in gewissen Momenten funktioniert, letzten Endes aber nicht dauerhaft möglich ist.

Forum
Welche Kriterien lagen der Textauswahl zugrunde?

Tutschku
Ich habe für das Stück Texte ausgewählt, die in der einen oder anderen Weise um das Thema Kindheit kreisen. Und das in zweierlei Hinsicht: zum einen Gedichte und Brieffragmente, die direkt mit Trakls Biografie, seiner Jugend, mit der starken Beziehung zu seiner Schwester zu tun haben und zum anderen Texte, die mich besonders ansprechen, weil sie mich an meine eigene Kindheit erinnern.
Man wird ja öfters gefragt, warum man solche Projekte realisiert und was man damit ausdrücken möchte. Ich glaube, dass ich auch darauf keine eindeutige Antwort habe.
Ich hoffe, den Besuchern mit diesem Ansatz einer offenen Lesart sozusagen die Zutaten für ein viel versprechendes Rezept zu geben. Ich lade sie nicht ins französische Restaurant ein und serviere ein 5-Gänge-Menü. Ich zeige ihnen, wie ich es zubereiten würde aber kochen müssen sich die Leute das selbst.

Forum
Wie sieht die aktuelle Arbeitsphase im Tonstudio aus? Haben Sie schon alle Zutaten zusammen?

Tutschku
Im Moment entwickeln wir die ganze Live-Elektronik, die natürlich von vornherein mit konzipiert war. Dafür haben wir Klangmaterial und komponierte Instrumental- und Gesangssequenzen aufgenommen.
Diese Arbeitsphase dient auch zur musikalischen Einstudierung der Stimmen.

Forum
Sie werden neben akustischer Live-Elektronik auch vorproduzierte Videosequenzen verwenden. Wie ist dieses Material entstanden und in welcher Weise bildet es einen weiteren Zugang zu Trakls Landschaften?

Tutschku
Das Bühnenbild besteht zum Teil aus Materialien, die der Bildwelt Trakls entlehnt sind, dieser Bildwelt in der Natur mit diesen eigenartigen Farben und Stimmungen. Ich habe sie reduziert auf einige Elemente wie Wasser, Steine, Blätter und Zweige, die nicht nur ein optisches Element sind, sondern auch klanglich eingesetzt werden und sich schließlich auch in den Videoprojektionen wieder finden.
Dafür filmte ich Naturmaterialien, das heißt Wasser, Steine, Pflanzen in allen möglichen Kombinationen. Diese Elemente bringen uns das Fenster nach außen. Meine Vorstellung ist, dass wir alle in diesem Raum eingeschlossen sind, dass wir dieselbe momentane Erfahrung teilen und unser Blick nach draußen über die Projektionen möglich wird.
Die Videosequenzen sind nur zum Teil vorproduziert und werden ebenfalls in Echtzeit - wie die Klänge der Stimmen und Instrumente - weiterverarbeitet. Sie werden durch die Musiker, die Sängerinnen und den Tänzer beeinflusst und lösen dabei ihre Figürlichkeit auf, wenn das Video auf die Körper projiziert wird.

Forum
Wann begannen die ersten Arbeiten für das Projekt?

Tutschku
An dem Stück arbeite ich jetzt seit knapp zwei Jahren. In dieser Zeitspanne sind auch eigenartige und schöne Zufälle passiert, die neue Ideen für das Stück brachten. Ich bin in Japan unterwegs gewesen und war fasziniert von der Art und Weise, wie in den Tempeln Wasser als funktionales und verschönerndes Element verwendet wird. Und da habe ich, ohne konkret zu wissen wie ich es verwenden würde, sehr viele Videoaufnahmen von Wasser, Steinen und Blättern gemacht. Beim Nachdenken über das Projekt haben sich diese Aufnahmen mit anderen Aspekten gut zusammengefügt.

Forum
Was macht für Sie die Arbeitsweise am Forum Neues Musiktheater aus?

Tutschku
Für mich war entscheidend, dass ich von Beginn an eine Vorstellung des Aufführungsraumes hatte. Die Raumkonzeption stand also ganz am Anfang und dementsprechend wurde die Partitur geschrieben.
In den vergangenen drei Wochen hatte ich Experimentierzeit mit den Musikern, Sängerinnen, dem Tänzer und der Videoprojektion. Die Partitur war ja schon im Frühjahr abgeschlossen, es ging jetzt um die musikalische Umsetzung, die Live-Elektronik und die szenischen Lösungen. Bis zur Endprobenphase im September kann ich nun noch Details der Projektion und der Live-Elektronik verfeinern und ausarbeiten. Anfang September bringen wir dann alle Elemente zusammen.
Es war also von vornherein so gedacht, dass wir mehrere voneinander getrennte Probenblöcke haben, um Details auszuprobieren und bis zur nächsten Probenphase auszuarbeiten. Und das geht eben in einem normalen Theaterbetrieb nicht. Diese Möglichkeiten bietet so wohl nur das Forum.

Das Projekt wird realisiert mit freundlicher Unterstützung der Akademie Schloss Solitude.

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